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Fake-Rehbraten für die Fastenzeit: Mittelalterliches Dessert aus Trockenfrüchten

Wie es dazu kam, dass ich mich, mein Kind und weite Teile der Küche mit essbarem Gold überzogen habe.  Oder auch: Experimentelle (Küchen-)Archäologie, ich versuche mich am Nachbau einer protzigen edlen Fastenspeise aus dem 15. Jahrhundert!

Ein guter Christenmensch sein und dennoch mit Reichtum protzen, so funktionierte das im Mittelalter: Fake-Rehbraten, eine süße Fastenspeise (heute: Dessert - ein veganer "Braten" aus Trockenfrüchten, Wein und Brötchen) aus dem 1. gedruckten, deutschsprachigen Kochbuch von 1485.

Dieses Dessertrezept für einen süßen, vegetarischen/veganen Braten aus Trockenfrüchten und Mandeln stammt aus dem Kochbuch "Küchenmeisterei" aus Nürnberg. Erstmalig gedruckt wurde es 1485 und ist damit (für alle Kochbuchsüchtigen bitte mal kurz einen Trommelwirbel:) das erste gedruckte, deutschsprachige Kochbuch! (Krass. Oder etwa nicht?)
Mit mittelalterlichen Rezepten ist es ja meist so, - zumindest mit den meisten europäischen - dass Mengen-, Koch- und Zeitangaben eher Mangelware sind. Es wurde davon ausgegangen, dass das schon alles irgendwie Allgemeinwissen sei, bzw. es waren ja die ersten Schritte im Kochbuchwesen und das Zielpublikum waren eben keine Kochanfänger*innen.

[Wer kein Interesse an dem historischen Abriss und meinen Erkenntnissen beim Kochen hat, sollte jetzt einfach runter zum Rezept springen.]

You want to read this article in English language? Go to my blog for historical food Theophanus Cauldron.
Zutaten für eine mittelalterliche Speise in der christlichen Fastenzeit: Getrocknete Feigen und Rosinen, Gewürze, Mandelkerne und Semmeln

Christliche, deutsche Fastenspeisen im Mittelalter

Und so ist mein Rezept für Fake-Rehbraten, also falscher Rehbraten nach dem Rezept "Holbroten" bzw. "Rechproten in der vasten" (lies: Rehbraten in der Fastenzeit), auch mit viel Interpretationsspielraum zu sehen.
"Holbroten" bedeutet anscheinend so viel wie "Hohlbraten", da ja ein Spieß im Fleisch steckte - denkt an Spanferkel - der später einen Hohlraum bildete. Nur halt in vegetarisch. Wird das im Rezept optionale Butterschmalz weggelassen, ist es sogar eine vegane Süßspeise. Und auch wenn hier edle (und für die damalige Zeit verdammt kostspielige) Zutaten zusammen kommen, wie Gewürze, Mandeln, Trockenfrüchte, Zucker, Weißbrot und frischer Ingwer (um die Jahreszeit!), so ist hiermit doch formal alles für eine rechtschaffene, christliche Fastenspeise erfüllt. Tricky, was?

Die christliche Fastenzeit wurde früher ähnlich streng interpretiert wie der islamische Ramadan. Es gab nur eine Mahlzeit am Tag und diese wurde zusätzlich inhaltlich heruntergebrochen durch den Verzicht auf bestimmte Fleischsorten, Milchprodukte und Eier. Dass das Rezept Butterschmalz nannte, irritierte mich deswegen zunächst etwas - bis ich darüber stolperte, dass Städte oder Regionen vom Papst Fastendispense erlangen konnten, also Erleichterungen, die ihnen z.B. das Essen von Milchprodukten in der Fastenzeit erlaubte. Und auch wenn das Kochbuch "Küchenmeisterei" nicht in Nürnberg geschrieben, sondern dort nur in gedruckter Form umgesetzt wurden, fand ich es in diesem Zusammenhang doch äußerst spannend, in diesem Blogartikel zum Thema christliche Fastenzeit im Mittelalter zu lesen, dass Nürnberg 1437 einen Fastendispens erwirkte, damit die ärmere Bevölkerung Milchprodukte konsumieren konnte. Und dass Papst Eugen IV. im Jahr 1445 mittels eines sog. "Butterbriefes" die Erlaubnis zum Butterkonsum auf die gesamte Stadtbevölkerung ausweitete.

Also abseits der Butter zusammengefasst: Wer reich war, konnte mit dem Griff zu luxuriösen Zutaten rein formal ein braver, guter Christenmensch sein und gleichzeitig protzen und mit seinem Wohlstand angeben.

 

veganes, mittelalterliches Dessert aus dem 1. gedruckten deutschen Kochbuch "Küchenmeisterei" (Nürnberg, 1485)

Das 1. gedruckte deutsche Kochbuch: Nürnberger Küchenmeisterei von 1485

Leider findet sich im Netz wenig an sinnvollen, ausführlichen Informationen zu diesem ersten, gedruckten (!) deutschsprachigen Kochbuch. Es stammt von einem anonymen Autor, wurde 1485 von Peter Wagner als "Kuchemeysterey" herausgebracht und fand in den darauffolgenden zwei Jahrhunderten weiter als erfolgreiches Druckwerk Verbreitung. Es handelt sich hier nicht um bäuerliche, sondern sehr gehobene feine, vielleicht sogar höfische Küche. Wie bei den arabischen Rezeptbüchern aus deutlich früherer Zeit, werden hier kostbare Zutaten verwendet und Speisen unter anderem kunstvoll eingefärbt. Und: hier findet sich auch eine Anleitung zum Vergolden von Mandeln. (Das Buch empfiehlt eine hölzerne Schere zum Applizieren von Blattgold anzufertigen. Ich habe mit Pinzette rumgefummelt, mein essbares Fake-Gold hat sich aber anders verhalten, weswegen mich mein Küchentisch immer noch stellenweise gülden anglitzert! 🥴) Es sind auch noch ältere Handschriften hierzu erhalten, die Mediävistin Trude Ehlert konzentriert sich in dem Buch Küchenmeisterei. Edition, Übersetzung und Kommentar zweier Kochbuch-Handschriften des 15. Jahrhunderts* auf zwei hiervon.

Und dank der Wunder des Internets könnt ihr selbst einen Blick auf das gedruckte Werk werfen, ein Exemplar der "Kuchemeysterey" von 1486 ist nämlich im Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin/Preußischer Kulturbesitz, Berlin und so eingescannt worden und steht zur freien Verfügung.

Ich wildere hier ein wenig außerhalb meiner Expertise, das liegt daran, dass das KochKulturMuseum auf Instagram einmal im Monat zu einem Kochkränzchen einlädt, mit einem erhaltenen Rezept aus der Menschheitsgeschichte als Challenge. Dieses gilt es dann am eigenen Herd zu interpretieren. Im Februar fiel die Wahl auf eines der ersten Rezepte aus der Küchenmeisterei. (Hier erfahrt ihr mehr zum Unternehmen KoKuMu, das Kochkurse von Steinzeit über Jane-Austen-Picknick bis zu Uromas Kochkiste anbietet und auch Kochkurse für Schulklassen anbietet.)

Geschnittene Brötchen, Zutat für eine Fastenspeise / mittelalterlicher Brotauflauf bzw. Breadpudding Vergoldete Mandeln für ein Dessertrezept aus dem deutschen Spätmittelalter.

Rechproten in der vasten

Die Mitarbeiter*innen vom KochKulturMuseum waren so nett, mir ihr Transkript und die Übersetzung des Rezepttextes zuzusenden.

Original

Item wiltu ein holbroten oder genant eine rechproten in der vasten mache, nym feigen weinper erwelle sy in gute wein hacks klein sehmel darein vermisch es wol. mach es ab mit saltz vnd mit wurtzen. Netz dy hend in eine teigwasser slach dy feigen vmb eine spis als eine holprote mit nassen hende vn truck yn wol an lege yn zu de feuer. so er nun gebroten ist so schneid yn nach der leng auf an beiden seyten am spis mach hubsche stuck doraus vnd besteck sy mit madelkern vergult oder geferbt vnd gib es dar. Du magst zucker dorauff sehen oder frische ynguer. den brote begeust man auch mit milchsmaltz.

Übersetzung

Willst Du einen Hohlbraten oder einen sogenannten Rehbraten in der Fastenzeit machen, so nimm Feigen und Weinbeeren und koch sie in gutem Wein. Gib kleingeschnittene Semmeln dazu und vermische es gut. Schmecke es mit Salz und Gewürzen ab. Befeuchte die Hände und schlag die Feigen mit nassen Händen um einen Spieß wie einen Hohlbraten und drück ihn gut an und leg ihn zum Feuer. Wenn er dann gebraten ist, so schneide ihn der Länge nach auf beiden Seiten am Spieß entlang an. Mach hübsche Stücke daraus und besteck sie mit vergoldeten oder gefärbten Mandelkernen und serviere es. Du kannst Zucker oder frischen Ingwer darauf streuen. Den Braten begießt man auch mit Milchschmalz.

Quelle: (Küchenmeisterei, 1490, Teil 1, Rezept 2)

Nachfolgend habe ich euch die entsprechende Stelle im Scan der Ausgabe von 1486 markiert und als Foto eingestellt.

Rezept Rechproten in der vasten - Küchenmeisterei Nürnberg 15. Jahrhundert

Gedanken & Überlegungen zum Fastenrezept aus dem Spätmittelalter

--> Also erstmal: Mein süßer Braten aus Trockenfrüchten mit vergoldeten Mandeln als Fake-Speckstreifen sah meiner Meinung nach tatsächlich toll aus. Ich kann mir das Gericht schon wirklich sehr gut auf einer gehobenen Tafel vorstellen.

--> Da mein Kind mit aß, habe ich mit Wasser verdünnten Apfelsaft (Verhältnis 2:1 genutzt. Ich denke säuerlicher oder trockener Wein könnte die brachiale Süße der Trockenfrüchte noch mehr aufbrechen und stark zum Geschmack des Gerichtes beitragen. Traubensaft habe ich wegen der starken Süße nicht verwendet.

--> Ich überlege, ob ich zu wenig Brot hineingetan (Konsistenz, Süße) und ob ich die Masse nicht lang genug geknetet habe - meine Masse rutschte mir nämlich vom Spieß (falls ich dazu ein Video auf meinem YT-Channel einstelle, seht ihr das wahrscheinlich 🙈). Vielleicht war der Spieß aber auch einfach zu dünn? KochKulturMuseum hatten in ihrer Challenge sowieso darauf hingewiesen, dass eins auch kleine Braten formen und diese so backen kann, das war dann mein Plan B.

--> Wie war das Ergebnis?
Geruch & Geschmack: Es roch fantastisch. Karamellisiert, fruchtig-duftig, würzig. Durch die Brötchen auch kuchig. Aber es war unfassbar süß. Vielleicht hätte da noch mehr Brot im Teig geholfen? Ich überlege auch, ob mehr Gewürze sinnvoll wären. Sie traten hinter der allgewaltigen Süße etwas in den Hintergrund, waren aber schmeckbar. Für unseren modernen Gaumen okay, aber ob das auch an mittelalterliche Maßstäbe heran kommt? Wobei ja die Theorie kursiert, dass sie durch den Transport damals nicht so potent waren und deswegen mehr verwendet wurde...
Durch das Backen entsteht jedenfalls eine köstliche, karamellisierte Kruste auf dem Trockenfruchtbraten. Aber viel kann eins hiervon nicht essen. Wir haben uns nach schon einem Bissen hierzu eine neutrale Sahnesoße oder ungesüßtes Vanilleeis gewünscht. Gut, dass ich die Option auf darüber gestreuten Zucker nicht wahrgenommen hatte. Tatsächlich schmeckt der Fake-Rehbraten aber als süßer Aufstrich auf Brot sehr gut. Oder als Topping auf Hafer- oder Hirsebrei. Auch zu einem Stück Käse - so wie Feigenmarmelade - macht es sich gut. Der Rest ist jetzt in Gläsern und wird nach und nach verbraucht und landet evtl. noch zerhackt in Mince Pies.

Konsistenz: Das Backwerk ist erstaunlich locker im Teig, auch nach dem Backen noch, hielt aber dennoch gut zusammen und ließ sich recht problemlos aus der Backform auf einen Teller umsetzen (Butterschmalz sei dank!). Nachdem Abkühlen verfestigt sich die Konsistenz etwas. (Ich war versucht, die Trockenfrüchte kleiner zu schneiden, damit es besser zusammen hält, fand aber, dass ich mit dem groben Zerschneiden der Feigen schon mehr tat als im Rezept angegeben.)

--> Mich persönlich erinnerte der vegetarische Rehbraten sehr an moderne, süße  Rezepte für British Bread Pudding mit Rosinen und anderen Trockenfrüchten. Woran es mich ebenfalls erinnert? An die Fastenspeise Lenten Slices - also "Fasten Schnitten" (Rezept 192) aus dem Viandier*, einem höfischen, französischem Kochbuch aus dem 14. Jahrhundert. Hier kommt zwar Mandelmilch statt Wein zum Einsatz, aber eine inhaltliche Verwandtschaft ist für mich persönlich erkennbar.

--> Das Rezept bietet neben Optionen wie frischem Ingwer, Zucker zum Bestreuen und Butterschmalz zum Begießen/Bepinseln auch zwei kostpielige Varianten für die Mandeln: Blattgold oder Einfärben. Safran* wäre hier wahrscheinlich die naheliegendste und simplere Anwendung gewesen. In den Handschriften findet Safran zum Einfärben Erwähnung. Es werden aber auch regionale Alternativen wie z.B. Kornblumen (blau) erläutert. Ich habe eine essbare Vergoldung* gewählt. (Da ich mich für Flocken zum Vergolden der Mandeln entschieden habe, ließen diese sich aufgrund der kleinen Maße etwas schwer mit der Pinzette auftragen, weswegen ich - und mein dazugekommenes Kind - die Mandeln dann auf einem Brettchen in den Goldflocken wälzten, bis sie hafteten und abschließend mit dem Finger glatt strichen/polierten. Im Ergebnis hatten wir dann Goldsprenkel im Gesicht, auf der Kleidung und schön einpoliert und angelegt auf dem Holz der Arbeitsfläche (das Brettchen war eh schon verloren) - trotz Waschen mäanderten die Goldsprenkel in den darauffolgenden Tagen noch weiter durch die Küche. Aber ich seh es so: Es gibt nie genug Glitzer im Leben. 😅)

--> Das Ergebnis dieses experimentellen archäologischen Kochversuchs ist natürlich auch wieder hübsch für Menschen, die im Bereich Reenactment und Living History ihre Zeit verbringen. Ich hoffe meine Rezeptinterpretation inspiriert andere.

Rezept für Holbroten/Rechtproten in der vasten = Fake-Rehbraten, ein vegetarisches/veganes Dessert aus dem Spätmittelalter (aus Küchenmeisterei von 1485)

Rezept für süße, mittelalterliche Fastenpeise aka Fake-Rehbraten [Holbroten/Rechproten in der vasten]

250 g Feigen (getrocknet)*
250 g Rosinen (getrocknet)
400 g Apfelsaft-Wasser-Gemisch (Mischungsverhältnis 2:1 = ~266g Apfelsaft, 122 g Wasser - original: Wein)
75 g altbackene, weiße Brötchen
25 ganze Mandeln
3/4 TL Ceylon Zimt*
3 Nelken
1/8 TL Macis*
1/4 TL Ingwer (getrocknet)
10 Körner schwarzer Pfeffer
2 EL Butterschmalz
essbare Vergoldung*

Zubereitung

  • Alle Gewürze im Mörser fein zerstampfen/zermahlen.
  • Die getrockneten Feigen vierteln und zusammen mit den Rosinen, dem Saft (oder Wein) und den Gewürzen in einen Topf geben, zum Kochen bringen und dann für 15 Minuten auf kleiner Flamme weich köcheln lassen.
  • Die altbackenen Brötchen in kleine Würfel schneiden und direkt unter die heiße Masse der Trockenfrüchte heben.
  • Die mit Brotstücken vermengten und weich gekochten Trockenfrüchte für 30 Minuten abkühlen lassen.
  • Die Masse in eine Schüssel geben und mit dem Händen durchkneten, bis sich ein schöner (ziemlich klebriger) Teig ergibt.
  • Die Hände mit Wasser benetzen und kleine Braten um einen Spieß herum formen und in eine Auflaufform setzen. (Hat bei mir nicht funktioniert.) Alternativ: Etwa 1 EL Butterschmalz schmelzen und den Boden einer Auflaufform damit ausgießen/auspinseln. Mit angefeuchteten Händen aus der Teigmasse drei elliptische Laibe formen und diese in die Auflaufform hineinsetzen.
  • Die falschen Rehbraten nun im Ofen bei 175 °C (vorgeheizt, Umluft, mittlere Schiene) für 25-30 Minuten backen.
  • Währenddessen die Mandeln in einen Topf geben, kurz aufkochen, abkühlen lassen und sie schnipsen (Haut entfernen). Die Mandeln mit dem Blattgold/Vergoldungsmittel der Wahl überziehen. Ich habe immer nur eine Hälfte vergoldet, da die andere Hälfte nicht sichtbar im Gebäck stecken wird.
  • Mit einem Spatel die Trockenfrüchtebraten aus der Auflaufform herausheben und auf einen Teller setzen.
  • Die vergoldeten Mandeln in den Braten drücken. Nehmt euch hierbei Speckstreifen, mit denen eins einen Rehbraten spickt, als gedankliches Beispiel. Ich habe pro Gebäckstück 6 Mandeln gesetzt: seitlich liegend und immer 2 parallel miteinander, siehe Fotos.
  • Einen Esslöffel Butterschmalz schmelzen und die drei Laibchen damit - zwischen den Mandeln - übergießen, wahlweise einpinseln. Fastenspeise auf der großen Tafel auftragen.

 

Bildcollage Rechproten in der vasten - Rezept aus dem 15. Jh.

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Rāshtā: Eintopf mit selbstgemachten Nudeln – ein Gericht aus dem Baghdad des 13. Jahrhunderts

Experimentelle Archäologie, noch nie genutzte Zutaten, ein Gericht mit nur einem Gewürz und einer Prise Zeitdruck - was kann da schon schief gehen? 😅

Rashta: Eintopfrezept mit Nudeln aus dem Baghdad des 13. Jahrhunderts

Das Ergebnis war ein überraschend köstlicher, dicker Fleischeintopf mit selbstgemachten Nudeln - genau das richtige für einen grauen Februartag.
Ich widme mich derzeit wieder vermehrt dem Nachbau historischer Rezepte, besonders haben es mir da ja arabische Kochbücher angetan. (Mehr dazu auf meinem Insta-Account "Theophanu's Cauldron", auf dem dazugehörigen Foodblog gibt es die Texte dann auf Englisch.) Denn weit bevor Europäer*innen einen Federkiel in die Hand nahmen, um ihre Rezepte festzuhalten, gab es hier eine große Kochbuchtradition, die besonders an den Höfen gepflegt wurde (Lies: Sultan und seine Cronies sammelten Kochbücher und haben da auch Rezeptevents abgehalten). Kochen war also "in" und die arabischen Länder waren die Influencer ihrer Zeit. Gerichte, Geschirr und Gewürze inspirierten zum Beispiel eben auch sehr stark die mittelalterliche deutsche Kochkunst. Und so ist es kein Wunder, dass es Schriften, wie das "Scents and Flavors"* gibt, das punktgenau alles rund um Festmähler abhandelt - bis hin zu duftigen Mittelchen, damit sich die Gäste auch wohlfühlen.

Chana Dal - geschälte, gespaltene Kichererbsen

Rishta/Rashta - dicker Eintopf mit Nudeln und Hülsenfrüchten

Heute liegt mein Augenmerk aber auf einem Kochbuch des 13. Jahrhunderts, das aus Baghdad stammt und hier im Foodblog auch schon öfter Erwähnung fand: A Baghdad Cookery Book* (Kitab al-Ṭabīkh - das Buch der Gerichte) im Jahr 1226 verfasst von einem Schreiber namens Muḥammad bin al-Ḥasan bin Muḥammad bin al-Karīm al-Baghdadi - kurz Al-Baghdadi genannt - und in der Übersetzung von Charles Perry. (Es gibt eine erste englische Übersetzung von 1939 von A. J. Arberry, die zu ihrer Zeit bahnbrechend war, aber stellenweise Fehlübersetzungen enthält. Dennoch eine spannende Lektüre, gerade im Vergleich zu Perrys Version. Die Übersetzung ist in dem Sammelband "Arab Medieval Cookery"* enthalten.)
Al-Baghdadi berichtet im Vorwort, dass seine Leidenschaft eben gutes Essen ist, laut ihm hat er die Rezepte nach seinen persönlichen Vorlieben zusammengestellt. Die Gerichte sind ein wenig frugaler als in "Scents and Flavors", aber die enge Verwandtschaft ist deutlich erkennbar. Viele Gerichte leben, in etwas veränderten Fassungen, auch noch heute in der pan-arabischen Küche weiter. Wie auch das Gericht Rishta bi Adds, einen dicken Linsen-Nudel-Eintopf den ich vor einigen Jahren hier auch schon als vegetarisches Rezept vorgestellt habe. Jetzt halt in der Baghdad-Originalversion mit Fleisch.

"Rāshtā. The way to make it is to cut fat meat medium and put it in the pot. Put on water to cover, a stick of cinnamon, a little salt, a handful of peeled chickpeas and half that much of lentils. Boil it until it is done. Then add more water and bring it to a full boil. Then throw (in) rāshtā, which is dough kneaded hard and rolled thin, then cut into fine thongs four finger-widths long. Then kindle the fire under it until it has thickened smoothly. When it has grown quiet on a gentle fire a while, take it up.

[It is made from strongly kneaded unleavened dough which is made like thongs and put in water and cooked with or without meatl From the Minhāj.]



"A Baghdad Cookery Book", tranlasted by Charles Perry, Chapter II. On plain dishes according to [their variety, Rāshtā, S. 48

Meine Übersetzung: "Rāshtā. Die Art und Weise es zuzubereiten besteht darin, fettes Fleisch in mittelgroße Stücke zu schneiden und in den Topf zu geben. Gib so viel Wasser dazu, dass alles bedeckt ist, sowie eine Zimtstange, etwas Salz, eine Handvoll geschälte Kichererbsen und halb so viele Linsen. Koch es, bis es fertig ist.
Dann füge mehr Wasser hinzu und bring alles stark zum Kochen. Wirf jetzt die Rāshtā hinein, welche aus einem stark gekneteten und dünn ausgerollten Teig bestehen, der dann in feine Streifen von vier Fingerbreiten Länge geschnitten wird. Anschließend das Feuer darunter anfachen, bis es gleichmäßig eingedickt ist. Wenn es auf einem sachten Feuer eine Weile ruhig geworden ist, kann es serviert werden.

[Es besteht aus stark geknetetem, ungesäuertem Teig, der wie Riemen geformt, in Wasser gelegt und mit oder ohne Fleisch gekocht wird. Aus dem Minhāj.]"

Rashta - eine mittelalterliche, dicke Nudelsuppe nach 800 Jahre altem Rezept aus BaghdadRindfleisch für mittelalterlichen Eintopf Rashta

Überlegungen und Beobachtungen zum mittelalterlichen Rezepttext

  • Ich hatte angenommen, dass mir weitere Gewürze und vor allem Zwiebeln stark geschmacklich fehlen würden und war angenehm positiv überrascht. Der Eintopf war erstaunlich aromatisch. Die zugegebenen Kichererbsen und Linsen scheinen eher Geschmacksträger und Konsistenzgeber, da durch die Kochzeit recht zerfallen. Es soll keine dünne Nudelsuppe sein, sondern ein richtig dicker, sämiger Eintopf mit starkem Fleischgeschmack und den (verdammt guten - sorry, Selbstlob muss auch mal sein) Nudeln als den Stars. Bleibt er länger stehen, verschwindet die Flüssigkeit fast gänzlich.
  • Ich verwende Chana Cal, geschälte, halbierte Kichererbsen. Korrekter wären wohl ganze, geschälte Kichererbsen, die ich allerdings nicht bekommen konnte. Da sie eh zerkochen, ist es wohl marginal. Wer welche nutzt, sollte allerdings Einweich- und Kochzeit hochsetzen. (Und ja, wir haben hier verschiedene Hände voll mit Kichererbsen gehabt und abgewogen. 😅)
  • Im Rezept wird erwähnt, dass eine Zimtstange mit in den Topf soll. Meine Zimtstangen waren allerdings eher schmalbrüstig. Im Vorwort (S. 28) weist der Autor darauf hin, wie dick, stark eingerollt und beißend-duftend die verwendeten Zimtstangen sein sollen. Deswegen wanderten zwei Stück in den Topf - immerhin das einzige Gewürz neben Salz.
  • Apropos Salz: Hier wandert am Anfang Salz in den Topf, ich behalte mir vor, die Brühe nochmals nachzusalzen, kurz bevor die Nudeln hineinwandern. Ich verwendete feines Meersalz, der Autor liebt Steinsalz (was wahrscheinlich etwas mit dem Reinheitsgrad zu tun hat). Wer authentisch Steinsalz verwenden möchte, sollte evtl. die Salzmenge ein kleines wenig nach unten korrigieren.
  • Nicht lachen, ja ich verwende tatsächlich Entrecôte, da mir Suppenfleisch oder Tafelspitz als zu mager erschienen und ich ein zartes Fleisch wollte. Hat hervorragend geklappt - aber sicherlich könnte eins auch zu einem gut durchwachsenen, günstigeren Fleisch greifen. Vorschläge nehme ich gerne entgegen.
  • In der Einleitung (S. 29) erwähnt Al-Baghdadi, dass es grundlegende Technik ist, die Brühe nach dem ersten Aufkochen abzuschäumen - wie wir es ja heutzutage auch noch kennen.
  • Dort wird ebenfalls mit Bezug auf dieses Kapitel erwähnt, dass das Fleisch vorher gewaschen und gesalzen werden soll - was ich bei heutigen Hygienestandards nicht für nötig erachte. Das Fleisch sollte auch in Fett angebraten und dann gekocht werden. Tatsächlich geht er so in fast allen in diesem Kapitel erwähnten Eintopfrezepten vor, nur in diesem hier explizit nicht. Ich habe mir darüber etwas den Kopf zerbrochen und mich dann entschieden die Anweisung aus dem Vorwort zu ignorieren und nach dem Rezepttext vorzugehen. Es existieren also im Grunde beide Optionen. Eventuell gehe ich beim nächsten Mal so vor.
  • Das Minhāj ist ein medizinisches Werk, das auch Rezepte (so wie damals üblich) beinhaltet. In einer späteren Version des Werkes von Al-Baghdadi wurden Informationen hieraus bei seinen Rezepten ergänzt. In der Übersetzung wurden sie größtenteils herauseditiert und blieben nur vorhanden, wenn sie kulinarischen Bezug hatten - wie hier bei dem Nudelsuppenrezept.
  • Ich habe mich für einen Nudelteig mit Eiern entschieden - meinem Verständnis nach ist hier die Gelingsicherheit bei normalem Weizenmehl mehr gegeben. Wer eine eifreie Version mit anderen Mehlsorten starten will - feel free. Das Nudelrezept ist mein persönlicher Interpretationsspielraum im Rahmen der gegebenen Parameter: ohne Triebmittel, stark geknetet, dünn ausgerollt, in 4 Finger breite, schmale Riemchen geschnitten, kann in Wasser oder zusammen mit dem Fleisch gekocht werden.

Ausgerollter Nudelteig für Rashta - arabische, dicke Nudelsuppe nach einem One-Pot-Rezept aus dem MittelalterHandgemachte Nudeln für arabische Nudelsuppe

Wärmender Eintopf für die Lagerküche

Unabhängig von meinem Interesse als Historikerin und der Gaumenfreude: das Gericht eignet sich tatsächlich hervorragend für die Lagerküche und zum Kochen im Kessel auf offenem Feuer oder in Grapen in der Glut. Wer also Reenactment / Living History betreibt, wird hier ein weiteres Rezept finden, das relativ simpel zu kochen, wärmend und sehr gut sättigend ist.

 

Rezept für Rāshtā - ein dicker Nudeleintopf aus dem Baghdad des 13. Jahrhunderts

(für 4 Personen)
Zutaten für die Rinderbrühe mit Hülsenfrüchten:
600 g Entrecôte
60 g Chana Dal* (geschälte, gespaltene Kichererbsen)
30 g Berglinsen
2,5 TL Meersalz (fein)
2 Zimtstangen
Wasser (700 ml zum Aufsetzen, 1,2 L später für die Nudeln)

Zutaten für die Suppennudeln:
300 g Weizenmehl (Type 405)
3 Eier (M)
2-3 EL Wasser
2 TL Sesamöl
1/2 TL Salz

Zubereitung

  • Die Kichererbsen müssen vorab gewaschen werden und dann 2 Stunden in Wasser einweichen.
  • Das Entrecôte in Stücke mit 2-3 cm Kantenlänge schneiden.
  • Das Fleisch zusammen mit 1,5 TL des Salzes, zweier Zimtstangen, den eingeweichten, abgegossenen Kichererbsen und den gewaschenen Linsen in einen mittelgroßen Topf geben.
  • Mit 700 ml Wasser bedecken und zum Kochen bringen, Verunreinigungen mit einem Schöpflöffel abschöpfen. Deckel aufsetzen und für 1,5 Stunden auf kleiner Flamme köcheln lassen. Ab und an umrühren und prüfen, ob die Kichererbsen schon gar und das Fleisch schon mürbe ist.
  • Währenddessen den Nudelteig zubereiten: Eier, 2 EL Wasser und Sesamöl in einer Schale miteinander verklempern.
  • Mehl mit Salz vermischen, als kleinen Berg auf eine Arbeitsfläche geben und in der Mitte eine Mulde formen.
  • Schrittweise die Eimasse hinzugeben und mit einem Löffel, den Fingern oder einer Gabel nach und nach mehr Mehl vom Rand her nach innen einarbeiten, so dass eine Art dicker Breit entsteht.
  • Mit den Händen nach und nach das gesamte Mehl einarbeiten.
  • Den Nudelteig mit den Händen gut durchwalken, das dauert ca. 10 Minuten. Die Konsistenz sollte am Ende geschmeidig/elastisch, glatt und nicht mehr klebrig sein.
  • Troubleshooting:
    Ist der Teig zu klebrig: löffelchenweise Mehl einarbeiten.
    Ist der Teig zu trocken und krümelig: löffelchenweise Wasser einkneten.
  • Nach dem Kneten den Teig mit einem Tuch abdecken und für 30 Minuten ruhen lassen.
  • Teig in 4 gleichgroße Stücke teilen, jeweils auf bemehlter Arbeitsfläche sehr dünn ausrollen. Währenddessen immer wieder bemehlen und wenden, damit er nicht klebt. Ich habe hierfür ein konisches Nudelholz* verwendet, das meine Eltern mir mal aus Kurdistan mitgebracht haben. Es ist erfekt für dünne Teigfladen/Fladenbrote und ähnelt sehr französischen Teigrollern.
  • Die großen, hauchdünnen Teigfladen nochmals für 15 Minuten auf frischen Küchenhandtüchern ruhen und trocknen lassen.
  • Einen Fladen Nudelteig nehmen und in lange, ca. 8 cm breite Streifen teilen. Bei mir waren das Fladen 3 Stück. Diese aufeinanderlegen, in der Mitte teilen, eine Hälfte bei Seite legen. von der anderen Hälfte ca. 2-3 Milimeter breite und 8 cm lange "Riemchen" herunterschneiden. Zwischendurch immer wieder innehalten und die Nudeln mit den Fingern vorsichtig teilen und durch die Finger aufs Brett "rieseln" lassen und mit etwas Mehl bestäuben, damit sie nicht verkleben. So für den gesamten restlichen Teig weiter arbeiten. Ich hatte am Ende 4 Haufen/Nudelnester. Nochmals Ruhezeit von 10-15 Minuten.
  • 1,2 Liter Wasser zur fertig gekochten Rinderbrühe hinzu geben, restliches Salz hinzufügen, wallend aufkochen lassen und nach und nach die handgeschnittenen Nudeln hineingeben. Immer wieder zwischendrin umrühren, damit sie in der dicken Brühe nicht verklumpen.
  • Für 3-4 Minuten kochen lassen. Wenn sie gar sind, vom Feuer ziehen, nochmals 10 Minuten quellen lassen, dann servieren.

 

Und weil es gerade so schön passt, reiche ich das Gericht noch ganz schnell (und mal wieder super kurz und knapp vor Schluss - inzwischen hat es ja fast schon Tradition) zu Zorras Kochtopf-Blogevent ein. Das Thema in diesem Monat sind Eintopf-Gerichte - alles aus einem Topf - und die Gastgeberin ist Sabine von "Einfach Kochen und mehr".

Rezept für Rashta - mittelalterlicher Nudeleintopf aus BaghdadBi


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Literatur:

Scents and Flavours: A Syrian Cookbook*, Perry, Charles (Übersetzer), New York University Press, New York 2020, ISBN: 978-1479800810

A Baghdad Cookery Book*, Perry, Charles (Übersetzer), Prospect Books, Croydon 2005, ISBN: 978-1903018422

Medieval Arab Cookery*. Essays and Translations by Maxime Rodinson, A.j. Arberry & Charles Perry, Prospect Books, Trowbridge 2006, ISBN: 978-0907325918

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Atraf al-tib – eine Gewürzmischung aus dem arabischen Mittelalter

Ich liebe Kräuter und Gewürzmischungen. Meine Hexenküche ist vollgepackt mit den verschiedensten Dosen, Gläschen und Verpackungen - randvoll gefüllt mit wundervollen exotischen Kräutlein und Gewürzen, die nur darauf warten, dass ich sie ihre Magie wirken lasse.

 

Atraf al-tib - eine Gewürzmischung aus dem syrischen Kochbuch "Scents and Flavors" aus dem 13. Jahrhundert

 

Versteht mich aber nicht falsch: Ich liebe simple, erdgebundene Gerichte, die nicht zu überladen daher kommen. Aber hier schon länger Mitlesenden wird aufgefallen sein, dass ich gerne meine eigenen Gewürzmischungen anfertige und beim Kochen darauf zurückgreife.

Ein Foodblog über Essensarchäologie...

Am Wochenende habe ich es endlich geschafft, mein neues Foodblog "Theophanu's Cauldron" mit dem Schwerpunkt historische Nahrung online zu stellen. Und - nicht lachen - ich blogge dort in englischer Sprache. Mal sehen, wie ich es langfristig handhabe, vereinzelt werde ich zumindest versuchen hier die deutschsprachige Version einzusetzen.
Für meinen ersten Artikel habe ich eine wunderbare Gewürzmischung aus dem syrischen Kochbuch "Scents and Flavors"* ("Al-Wusla ila 'l-Habeeb") ausgewählt, welches aus dem 13. Jahrhundert stammt. Ich nutze eine englische Ausgabe in der Übersetzung von Charles Perry, der eigentliche Autor des Werkes ist leider unbekannt. Da ich momentan vorrangig mit "Scents and Flavors" und einem anderen arabischen Kochbuch des 13. Jahrhunderts, dem "Kitâb al Tabîkh" (The Book of Dishes) von Al Baghdadi (als "A Baghdad Cookery Book"* ebenfalls in der Übersetzung von Charles Perry) arbeite, werdet ihr dem Namen noch öfter begegnen. Ich fangirle eher ungerne, das führt meist zu eher ernüchternden Ergebnissen. Aber Perry ist schlicht eine Koryphäe auf seinem Gebiet - er ist zum Beispiel auch beim legendären Oxford Symposium on Food and Cookery sehr aktiv.

 

Atraf al-tib - eine Gewürzmischung aus dem syrischen Kochbuch "Scents and Flavors" aus dem 13. Jahrhundert

 

Rezept für arabische Gewürzmischung aus dem Mittelalter

Verlässt man die eurozentrische Sichtweise, dass es im 13. Jahrhundert ja noch keine Kochbücher gegeben hat und sieht sich die arabische Lebenswelt an, stellt man rasch fest, dass es a) in diesem Zeitraum etliche Werke gibt b) es sogar noch deutlich jüngere Kochbücher gibt und c) hierauf durchaus auch europäische Werke aufbauen. Ein Beispiel hierfür wäre das "Púch von den chósten" ("Speisen auf Reisen"*) ein deutsches Kochbuch bzw. ein medizinisch-diätische Textsammlung aus dem 15. Jahrhundert, die wiederum auf der Übersetzung eines italienischen Medicus aus dem 13. Jahrhundert fußt, dessen Manuskript wiederum auf dem Arzneibuch "Minhaj al-bayan" aus dem 11. Jahrhundert basiert. Verfasst wurde das Minhaj von dem Baghdader Arzt Abu 'Ali Yahya ibn 'Isa b. Jazlah al-Baghdadi aka Ben Gesla (der Link führt zu einem Verkauf eines Buchexemplares bei Southebys und enthält eine Menge an Informationen zum Autor. Leider gibt es ja keinen Wikipedia-Eintrag in einer europäischen Sprache. Ich scheitere da leider an der Sprachbarriere).

Aber ich schweife ab.. Widmet man sich also diesen Kochbüchern, speziell dem Scents and Flavors, stolpert man da des öfteren über eine Würzung namens "mixed spices". So ominöse Angaben sind in mittelalterlichen Kochbüchern nicht ungewöhnlich, die Autor*innen gehen vom Wissensstand der Zeit aus. In diesem Moment weiß man halt, was da so regulär rein wandert. Kann ja keiner ahnen, dass wir uns da Jahrhunderte später nen Kopp drum machen. 😅 Erst dachte ich, dass ich hier vielleicht die Mischung für ein Kräutersalz nehmen kann, dass ich in Anlehnung an ein Rezept aus dem Kitâb al Tabîkh zusammengestellt hatte. Im Glossar stieß ich dann aber auf diese Anmerkung Perrys:

Er benennt hierfür verschiedene Gewürze, wie Indische Narde, Betelnuss, Lorbeerblätter, Muskatnuss, Macis, Kardamom, Nelken, Hagebutten, Eschenfrüchte, Langen Pfeffer, Ingwer und schwarzen Pfeffer, allesamt einzeln gemörsert. ("spikenard, betel nut, bay leaf, nutmeg, mace, cardamom, clove, rose hips, ash tree fruits, long pepper, ginger and black pepper, all pounded seprately" (c. 4.4) )

Ich vermute, dass Atraf al-tib so ähnlich war wie das heutige Baharat (arab. "Gewürze"): Eine Würzmischung, die du eben bei dem Gewürzhändler deines Vertrauens gekauft oder nach familiärem Spezialrezept in der heimischen Küchen zusammengeklöppelt hast.
Für meine Version habe ich die Basiszutaten genommen und nach eigener Vorliebe um Kräutlein erweitert.

 

Mixed spices: Gewürzmischung "Atraf al-Tib" aus dem arabischen Hochmittelalter

 

Und an diesem Punkt stellte ich erschreckt fest, dass ich - basierend auf meinen Erfahrungen mit der arabischen Küche - auf den ersten Blick eine falsche Annahme getroffen hatte, da ich Rosenblätter statt der ungewöhnlicheren Hagebutten genommen hatte. Ich hatte die Zutat in einer Art Freudscher Fehlleistung in meinem Kopf schlicht falsch übersetzt (rose hips/rose buds). Aber wie man hier sehen kann, bin ich nicht die Einzige, die sich hier Fragen zu Hagebutten stellt. Wie mir inzwischen zugetragen wurde, haben die anderen 2 Übersetzer*innen des Textes ebenso wie ich gehandelt. Die aus dem Irak stammende Nawal Nasrallah, die unter anderem das Buch "Annals of the Caliph's Kitchens" verfasst hat, hat die Textstelle mit Rosenknospen übersetzt. Aufgrund des Tipps stieß ich in ihrem Buch Delights from the Garden of Eden (Glossary: Baharat, Seite 414) auf Rosenknospen in ihrer Übersetzung der Primärquelle und ihre Sichtweise, dass Atraf al-tib (oder Atraf al-teeb) ein Vorläufer des irakischen Baharat (Ha!) ist.

Aber zurück zu den Hagebutten als Gewürz. Bis jetzt sind mir Hagebutten noch nicht in arabischen Rezepten untergekommen, aber in Deutschland kennen wir ja Hiffenmark - eine seeeehr spezielle Sorte von Konfitüre, mit der in einigen Landesteilen auch Berliner Pfannkuchen gefüllt werden. Und wir alle kennen Hagebutten aus rotem Früchtetee (Na? Wer hat hier ein "roter Tee"-Trauma aus dem Schullandheim mitgebracht? Ich hatte Glück und mochte das Zeug, das in den verbeulten Metallkannen serviert wurde, immer recht gern). Hagebutten haben einen sehr hohen Anteil an Vitamin C und schmecken ziemlich säuerlich. Was mich vermuten lässt, dass sie als Gewürz eine ähnliche Geschmackseigenschaft wie Sumak* besitzen könnten.
Also entweder probiert ihr meine duftigere Variante mit Rosenblättern (die ja doch nicht so falsch ist, siehe weiter oben) oder ihr ersetzt diese durch 1 TL Sumak, bzw. besorgt euch getrocknete Hagebuttenschale und testet es damit aus - was ich sicherlich noch tun und hier ergänzen werde.
Ich habe diese Irrungen und Wirrungen hier dokumentiert, weil meiner Ansicht nach Überlegungen, Hinzulernen und Selbstreflexion zu unbewussten Annahmen zu einem transparenten wissenschaftlichen Prozess hinzugehören und eben eines sind: lebendige Forschung.

Ich mahle größere Mengen Gewürze übrigens nicht mehr stilecht im Mörser, sondern nehmen (zumindest, wenn ich daheim in einer modernen Küche bin) meine elektrische Kaffeemühle*, die einen entnehmbaren Mahlbecher hat. Entschuldigt, wenn ich euch da enttäusche, aber eure Handgelenke werden es mir danken. 😁

Ich empfehle euch zudem wirklich, so weit als möglich, die Gewürze frisch zu mahlen. Es ist einfach ein besseres Aroma. Der Duft von frisch gemahlenem Kardamom ist halt unvergleichlich und ungleich tiefgründiger. Mein Atraf al-tib habe ich bis jetzt für Gemüsegerichte, Dressings und als Gewürzbutter, die vor dem Braten auf das Hähnchenfleisch gestrichen wird, für Broiler eingesetzt.

 

Gebratenes Huhn mit Gewürzbutter

 

Rezept für Atraf al-tib

2 TL getrocknete Rosenblüten/Blätter von Rosenknospen (fein gemahlen)
1 TL grüne Kardamomsaat* (fein gemahlen)
1 TL getrockneter Ingwer (fein gemahlen)
1 TL schwarzen Pfeffer (fein gemahlen)
1 TL Langer Pfeffer* (fein gemahlen)
3/4 Macis (fein gemahlen)
3 Lorbeerblätter (fein gemahlen)
10 Gewürznelken (fein gemahlen)

Zubereitung

  • Alle fein gemahlenen Gewürze in eine Schüssel geben und gründlich miteinander vermischen.

 

  • Die arabische Gewürzmischung in ein gut schließendes Vorratsgefäß geben. Fertig. (Kein großes Hexenwerk, nur eine ellenlange Einleitung. 😅)

 


*Werbung. Afiliate-Links zu Amazon. Bei einem Kauf hierüber erhalte ich eine Vergütung.

Literatur:

Scents and Flavours: A Syrian Cookbook*, Perry, Charles (Übersetzer), New York University Press, New York 2020, ISBN: 978-1479800810


Delights from the Garden of Eden* (abbv., second edition): A Cookbook and History of the Iraqi, Nasrallah, Nawal, Equinox Publishing Ltd, Sheffield, 2018, ISBN: 978-1781798836

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#12von12 im Februar 2018

Ich hoffe ja sehr, dass ich keine Tradition daraus mache, am 12. Tag des Monats statt 12 Bildern nur 9 Bilder zu machen. ich bin allerdings sicherlich nicht die Einzige, die daran manchmal scheitert. Und 9 ist immerhin eine schöne Zahl - den Neugierigen unter euch wird es hoffentlich reichen. Ich weiß von einigen, die diesen kleinen Einblick mögen.

Die Zusammenfassung könnt ihr wie immer hier finden.

Collage #12von12 im Februar

Die #12von12 #9von12  im Februar 2018

 Firsch geschnittenes Berliner Roggenbrot - Biobrot1. Frühstück! Mal wieder zu spät dran und der Magen hing schon halb in der Kniekehle.

Replik Buocher Feinware

2. Schon mal nen Früchtetee für das nachher durstig aus der Kita heimkehrende Kind kochen. Der Krug ist übrigens mein Versuch der Rekonstruktion von Buocher Feinware aus dem 13. Jahrhundet. Das Mittelalterhobby geht halt bis ins Alltagsleben. Neugierige finden mehr Infos dazu auf meinem Craftingblog Fiberspace.de.

Haarschmuck

3. Ich bin mal wieder über eine meiner Haarschmuckschatzkisten gestolpert und habe sie durchgekramt. Dann habe ich mir groß vorgenommen was anderes mit meinen Haaren anzustellen - nur um dann doch wieder aus Zeitmangel bei der üblichen Haarspange zu landen. 😉

Primel im Winter

4. Frühling und so. Trotz Schnee und Eis der letzten Tage hat eine Primel in einem auf dem Balkon vergessenen Topf für sich entschieden, dass jetzt mal Zeit für eine kleine Blütenexplosion ist.

Bücher und CDs zur Rezension

5. Arbeit. In diesem Monat ist das Thema "Frauen" und ich habe spannende und sehr diverse Rezensionsexemplare. Die CD von "Aquabella" - einer Berliner Frauen-A-Capella-Gruppe - ist schon mal erfreulich schön und angefüllt mit sehr gemochten Liedern. Mal sehen, was "Lieb & teuer" (durchwachsen, nicht uninteressant) und "Erdenfrau" (Ich bin da direkt zu Anfang mit den Thesen zur Matriarchatsforschung von Heide Göttner-Abendroth kollidiert) bereithalten. Die DVD "Pussy Terror" von Carolin Kebekus (Genial!) hat es nicht aufs Foto geschafft.

Strickstulpen nach kostenloser Strickanleitung für Stulpen

6. Ich stiefle und sporne.. äh.. stulpe mich, um das Kind mit dem Lastenrad in der Kita einzusammeln. Mein super-duper-simples Strickmuster für die Stulpen findet ihr kostenfrei in meinem Craftingblog. Das supersimple Muster ist toll für dicke, selbstgesponnene Wolle (und natürlich auch gekaufte :)).

Zuschnitt Wolkenkissen aus Leinen / Kostenloses Schntitmuster für ein von Hand genähtes Wolkenkissen

7. Zuschneiden für ein weiteres Wolkenkissen. Diesmal aus altem Bauernleinen statt Feincord - die Reste vom blauen Cord, den ich beim ersten Kissen nutzte, sollen nämlich zu einer Hose fürs das Kind werden.  Und da dieser Tag irgendwie sehr handwerkslastig zu sein scheint, kann ich da nur wieder auf Fiberspace.de verweisen. Dort findet ihr die kostenlose Anleitung für das von Hand genähte Wolkenkissen.

Wintersonnenuntergang in Berlin Friedrichshain

8. Wintersonnenuntergang in Berlin. Ohne Filter. Ohne Worte.

Tartiflette mit Salat

9. Abendessen, endlich! Es gibt mal wieder Tartiflette. Naja, zumindest eine Art Tartiflette, meine vegetarische Version mit Pilzen nutze ich um alten Käse aufzubrauchen. Denn dieses relativ neue, aus dem Savoyen (Frankreich) stammende Kartoffelgericht ist toll zur Resteverwertung - zum Beispiel wenn man im Kühlschrank einen Camembert oder Brie wieder findet, der schon gute Laufeigenschaften entwickelt hat. 😉 Das Rezept wird in naher Zukunft als Pi-mal-Daumen-Rezept hier im Blog einziehen. Dazu gibt es einen frischen grünen Salat. Entwickelt sich hier zum Comfort-Food.

Das war's, friert bei der Kälte nicht ein (ich zitter bei dem Gedanken daran, mich gleich bei diesen Minusgraden aufs Babboe schwingen zu müssen, jetzt schon) und auf bald!

12 von 12 im August 2016

Wie immer in den vergangenen Monaten gibt es von mir 12 Bilder aus meinem Alltag, fotografiert am 12. des Monats. Wie es sich ergab war das der Tag, an dem wir aus Jerichow aufbrachen - einen Tag früher als ursprünglich geplant. Wie immer wird drüben bei "Draußen nur Kännchen" gesammelt.

12 von 12 im August 2016

  1. K.K.K. - Kind, Käse, Knäcke. Letztes Frühstück im Bett des Ferienzimmers.
  2. Packen! (Örgs.. Wer hat nur den ganzen Kram hergeschleppt?)
  3. Leberwurststulle im Lager. Auch die Letzte. 🙁 (Und jetzt bewundern wir alle die Pingsdorfer Keramik und die schöne Birkenrindendose)
  4. Gucke faul zu beim Fingerloop-Workshop.
  5. Wir sind schon in Zivil, der ❤mensch geht trotzdem noch kurz spielen.
  6. Schnell noch die Schwertreplik bewundern und dann los.
  7. Bis zum Ende des Universums und noch viel wei... äh nö. Nur heim!?
  8. Berlin hat uns wieder. 🙂
  9. Quengel, müde, Hunger, Durst! = Ich kam nicht an dem Donuts vorbei. ?
  10. Das mit dem Selberkochen wurde dann doch nix mehr.
  11. Teechen...
  12. Schnarch! Ab ins Bettchen.

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